Das Bechervolk
Vor vielen Jahren war ich bei BOC in ihrem Maydown Werk
beschäftigt. British Oxygen machten nicht nur Sauerstoff sondern
auch andere - oft giftige - Gase. Maydown liegt unten am Lough Foyle zwischen
Derry und Limavady. Lassen Sie sich nicht von dem Namen verwirren: Wenn es einen
kälteren, nasseren und windigeren Ort in
Nordirland gibt, möchte ich von dem nichts Weiteres wissen. Viele
Firmen hatten sich in Maydown niedergelassen - die grösste von
ihnen war der amerikanische Chemikalien Gigant DuPont - der von BOC mit
Acetylengas versorgt wurde.
Es gibt viele Methoden, Acetylen herzustellen und einige
von ihnen sind wahrscheinlich sauber, bequem und lebenswert. BOC hatte
aber das "Wolf" Vervahren gewählt. Dieses ist laut, es stinkt, man
wird kalt, kurzum - es ist ungemütlich. Außerdem stellten
wir fast so viel klebrig-ekligen
Teer her wie Acetylen - und das dreckige Nebenprodukt geriet in alle
Ecken und Winkel. Das Werk bestand aus Dutzenden von hohen
turmartigen Behältern,
die mit einer verwirrenden Anzahl von Teer beklebten Röhren
verbunden waren. Dort war es windig, kalt und miserabel; alles
zusammengenommen: kein schöner Ort seinen Lebensunterhalt zu
verdienen.
Man muss allerdings zugeben, dass es auch einige
Entschädigungen für die oben erwähnten Leiden der
Belegschaft
gab. Eine davon war der Spaß mit den Kunststoffbechern. Diese
allgegenwärtigen Gegenstände
waren weiß, rund, zweimal so hoch wie dick und konnten mit
tausenderlei gefüllt werden, sei es Kaffee, Tee oder Coke - oder
manchmal auch
eingeschmuggelte alkoholische Getränke für ganz besonders
festliche Gelegenheiten. Allerdings wurden die Becher in Maydown nicht
immer nur für Getränke benutzt - man verwendete sie
hauptsächlich, um damit Schabernack zu treiben. Die Belegschaft entwickelte wundersam
anspruchsvolle humoristische Abenteuer, die mit ihrer eleganten Einfachheit
vielschichtige, soziale Unterströmungen zum Vorschein brachten und erleuchtend beleuchteten. (!)
Wir mussten alle Sicherheitshelme tragen: grüne für die
Jungen von Reparatur und Wartung, gelbe für die Tagediebe in der
Produktion und hochnäsige weiße Helme für
Angestellte und Vorgesetzte. Irgendwann einmal muss ein Schelm bemerkt
haben, dass
es überall im Werk Fässer mit Schmierfett gab - man brauchte
das Zeug um die Kugellager der zahlreichen Motoren damit zu
füllen. Schmierfett - Kunststoffbecher - mehrfarbige Helme -
nur ein Genie kann die Verbindung sehen und ein unbekannter Einstein
tat genau das, und -
wie die meisten brillanten Ideen - wurde sie sofort von allen
akzeptiert und auf
Jahre hin ausgeführt.
So funktionierte die Sache:
Man nehme einen weißen Becher - vorzugsweise leer -
beschmiere die Unterseite mit einem dicken Klumpen gelben
Schmierfetts und
warte geduldig bis ein geeignetes Opfer vorbeispaziert. Es ist höflich,
sich zu vergewissern dass diese Person einen Schutzhelm trägt. Je
höher der
Kandidat die soziale Leiter erklettert hat um so besser. Man sollte
allerdings nicht zu wählerisch sein.
Während das Opfer vorbeigeht, schleicht man sich von
hinten heran
und pappt den Becher sanft auf den Schutzhelm. Da das Schmierfett weich ist,
bemerkt das Ziel dieses Scherzes den leichten Druck nicht, und das Fett haftet so stark, dass selbst ein Wirbelsturm den Becher
nicht vom Fleck reißen würde.
Der Spaß ist natürlich nicht in der Aktion zu sehen, sondern
in
der Reaktion des Opfers und der beglückten Zuschauer - denn
die Tat wurde immer vor Zeugen vollbracht. Einige bebecherte Leute
hatten das Glück, die
Kopfverziehrung aus Versehen abzustreifen, während sie zum Beispiel durch eine
Tür gingen - darauf beglückten sie die kichernde Umgebung mit
einem allwissenden Grinsen und verkündeten mit hochnäsiger
Stimme:
"Ach, warum seid ihr denn alle so kindisch? Ich wusste
ja all along dass ich das Ding auf dem Kopf hatte." Ich wiederhole den
Sinn, doch nicht die Gefühlsstärke der oftmals gesprochenen
Worte.
Andere Opfer spazierten stundenlang durch
die Umgebung und vergnügten die Umwelt mit der Ansicht
ihres becherverziehrten Helmes, und merkten nie wieviel Frohsinn sie verursachten wo immer sie
auftauchten. Nur des Abends, wenn sie sich umzogen, um nach Hause zu
gehen, nahmen sie endlich die Dekoration im Spiegel war.
Man selbst bekam manchmal ein komisches Gefühl: "Warum
starren die mich denn alle an? Warum grinsen sie so idiotisch?" Man sah
sich eine Weile um - erinnerte sich daran wo man war - und schrie:
"Himmelsherrgottdonnerwetternocheinmal", und
langte nach oben um den klebrigen Artikel mit einem verlegenen
Lächeln zu entfernen. Tatsächlich wanderten viele Menschen
durch die Gegend und machten alle paar Sekunden eine seltsame
wischende Bewegung über ihren Kopf. Dies wurde getan, um
sicherzustellen, dass jeder Becher, der seit dem letzten Wischen
platziert worden
war, entdeckt und entfernt wurde. Der BOC Gruß war still
berühmt
und wirksam - aber nicht für waagerecht platzierte
Dekorationen.
Die Schüchternen und oft auch die schlauen
Nüchternen, wenn sie plötzlich etwas ahnten, taten so, als
sei nichts geschehen. Sie wanderten für einige Zeit durch
die Umgebung bis sie endlich so taten, als wären sie den
Kunststoffbecher aus Versehen losgeworden- ohne selbst davon eine
Ahnung gehabt zu haben. Sie waren natürlich die häufigsten
Opfer
dieser Eugelspielerei.
Man konnte den Witz sogar ohne jeden Becher spielen. Man
brauchte sich nur in eine Ecke zu stellen und das Opfer heimlich
angrinsen, als ob man die berüchtigte Dekoration gerade bemerkt
hätte. Wenn der andere den Helm abnahm um den unsichtbaren Becher
zu entfernen, hatte man gewonnen!
Und es gibt keinen komischeren Anblick, als einen Kollegen
zu beobachten, der einen Becher auf einem ahnungslosen Passanten
platziert, während er selbst zwei Becher auf den eigenen Kopf trägt.
Denn warum sollte man nur einen einzigen Becher benutzen? Mit viel Geschick
und großem Einfallsreichtum wurden komplizierte Strategien
erarbeitet, die es möglich machten, das Opfer so abzulenken, dass
mehrere Becher auf sein Haupt gepflanzt werden konnten - einige davon in komplizierten geometrischen Mustern. Ich
habe selbst hochnäsige Manager gesehen - geborene Führer der
Menschheit - die durch die Gegend stolzierten, ohne die geringste Ahnung
zu haben, dass man ihnen eine Reihe von industriellen Hörnern
verpasst hatte, die in der Natur normalerweise nicht vorkommen, und die
ihren Hochmut auf scherzhafte Weise normalisierten. Sie wanderten durch das Werk -
weißer Helm mit weißen Bechern - gaben
Anordnungen, teilten Jobs aus und machten Notizen auf kleinen
weißen Clipboards und merkten nicht, dass sie der Mittelpunkt
einer schweigsam grinsenden Verschwörung waren. Es ist kaum zu
glauben, aber ich habe sogar ein Clipboard mit unten angebrachtem
Becher gesehen. Wie einige meiner
Mitarbeiter sich das Lachen verbissen, wenn sie von einem ernsten,
hochstehenden
Mann getadelt wurden, dessen Haupt von drei mit Schmierfett befestigten
Bechern gekrönt war, kann ich mir gar nicht vorstellen.
Ab und zu brachte es jemand fertig, zwei oder drei Leute mit einem Streich
zu erwischen. Der spaßhafte Anblick von zwei Menschen, die - in ein
ernsthaftes Zwiegespräch vertieft - zusammen zur Kantine
gehen, beide mit ein oder zwei Bechern auf dem Kopf, die alle anderen - doch
nicht sie selbst- sehen konnten , ist nicht leicht zu vergessen.
Beide wussten natürlich, dass der andere eine
hochdekorierte Person war, doch sie schwiegen, um den Spaß nicht
zu
verderben, im sicheren Bewusstsein, dass sie selbst ja umdekoriert waren.
Wenn andere vorbeigingen, grinsten sie ein allwissenden Grinsen in
Richtung ihres bebecherten Gefährten, ohne zu ahnen, wie gleich sie
ihm waren. Beide konnten die freudigen Aufmerksamkeiten ihrer
Arbeitsgenossen nicht verstehen und müssen sich ein wenig dumm
gefühlt haben, als sie an einem Fenster vorbei gingen, das ihnen schließlich die
Wahrheit in die Sinne spiegelte.
Dieser
Scherz wurde jahrelang gespielt und kam nur zu einem traurigen Ende, als
das Werk in 1980 schloss. Ihnen muss das Schmierfett
ausgegangen sein.
PS
Sollte ein surfender Archäologe, der hier noch Auskunft
über das Bechervolk suchte, diesen Bericht gelesen haben, ist er
gerade das letzte Opfer dieses
Scherzes geworden.
|